Zum Jubiläum 800 Jahre jüdisches Leben in Thüringen
Wieder gelesen
Heinz Knobloch: Herr Moses in Berlin
Knobloch gesteht im Jahre 1977: „Eigentlich wollte ich über Moses Mendelssohn nur eine Zeitungsseite schreiben. Dann las ich mit immer mehr Staunen, wer es war“.
Solches Staunen beschert nun dem Leser ein Kompendium Berliner Geistesgeschichte im 18. Jh. – Die Form lässt sich als eine geschickte Montage bezeichnen aus Lebenszeugnissen Mendelssohns und solchen Knoblochs selber, den Anfang von Toleranz und Emanzipation realistisch verknüpfend mit dem Ende von Toleranz. Zeitgleich macht Knobloch die Weisheit der Flaneure Rodenberg und Hessel fruchtbar. Der älteste Friedhof der Juden in der Großen Hamburger Strasse wird ebenso besucht wie die Neue Synagoge in der Oranienburger Strasse, das Lessing-Denkmal an der Lennéstrasse im Tiergarten, ebenso wie der Bereich an der Spandauer Strasse, wo Lessing und Mendelssohn wohnten.
Mendelssohn als Buchhalter und Fabrikant, als Autodidakt und Schriftsteller wird vorgestellt. Seine Gesprächs- und Briefpartner bilden eine ansehnliche Galerie:
Kant und Herder, Gleim und Moritz, Forster und Mirabeau, vor allem Lessing und Nicolai. Mendelssohn blieb auch in Preußen minderberechtigt, ihm wurde die Aufnahme in die Akademie verweigert.
Der früher in Berlin-Pankow lebende Knobloch (1926-2003) lässt in seinem Buch ein Kaleidoskop von Hinweisen entstehen, die in jede Himmelsrichtung aufklärend wirken: wir hören von den Zuständen am Rosenthaler Tor und den Passierscheinen, die für Juden nur dort galten; wir hören von dem geplanten nie errichteten Denkmal für Leibniz, Lambert, Sulzer und Mendelssohn auf dem Opernplatz und von der Bücherverbrennung 1933 dortselbst. Das Buch ist eine Frucht der Existenz des Aufklärers Mendelssohn, dessen Weisheit als lebenslängliche Erfahrung jeder für sich neu erarbeiten muss, auch diese: „ungern in Berlin zu sein, muss man zuweilen reisen“. Allgemeines Fazit dieser ungemein fruchtbaren Konfrontation des 18. Mit dem 20. Jh.: Toleranz kann nie eine Einbahnstrasse sein.
Hartmut B. Heinze