Interessantes aus der Geschichte
Beim Lesen der alten Zeitung ,,Der Deutsche“ sind mir immer wieder interessante Beiträge zur Heimatgeschichte von Sondershäuser Heimatforschern aufgefallen. Einige dieser Geschichten möchte ich gerne an dieser Stelle veröffentlichen.
Hanna Nagel
Gedicht auf den Frauenberg, als er vor kurzem zu brausen und Steine zu werfen begann.
von Günther Lutze
Diese höchst sonderbare Überschrift trägt ein Gedicht, das der Zufall in dem verstaubten Nachlasse eines alten Sondershäusers jüngst wieder auffinden ließ. Der geneigte Leser wird sagen: ,,wieder eine neue Fabel zur Geschichte des Frauenberges, der, weil er aus dem langen Zuge der Hainleite gleichsam wie ein Wächter ins Wippertal ganz auffällig sich vorschiebt, nicht allein dessen landschaftlichen Reize wesentlich erhöht, sondern auch von jeher mehrfach Stoff zur Bearbeitung historischer, aber auch fabelhafter Vorgänge geliefert hat.
Ich werde mich hüten, den Lesern dieses Blattes eine neue Mär aufzubinden, obgleich das vorliegende Gedicht, dessen Stoff mit voller dichterischer Freiheit behandelt ist, den Anschein erwecken kann, sein Verfasser habe damit einen Ritt ins romantische Land unternommen.
Das ist aber keineswegs der Fall. Dem Gedichte liegt vielmehr ein realer Vorgang zu Grunde, der weil nur mündlich überliefert, weniger bekannt sein dürfte. Doch zur Sache.
Die Besteiger des Frauenberges finden an seinem Nordhange ein großes Trümmerfeld, entstanden durch Ablösung und Niedergang einer gewaltigen Steinmasse von der Bergwand. Als Jahr dieses Absturzes wird 1815 angenommen. Der Verfasser des Gedichtes hat ihn erlebt und die elementare Gewalt, mit welcher er erfolgt sein mag, war stark genug, eine poetisch veranlagte Natur zu einer dichterischen Wiedergabe eines ungewöhnlichen Naturereignisses zu drängen. Um eine Probe seines poetischen Ergusses zu geben, setze ich von den 29 Strophen, in die es gefasst ist, nur die hierher, die zwischen den Zeilen ,,Tatsächliches“ lesen lassen, das als Beitrag zur Heimatgeschichte willkommen sein kann.
,, O Berg zu unsern Frauen, Sonst lieblich anzuschauen,
Du allerschönster Berg,
Zu den wir einst wallfahrten,
Von dem wir Hilf erbaten,
Wir nahen uns mit Ehrfurcht dir.
Was machst du uns für Sorgen
In deinem weiten Becken.
Mit brausendem Getös?
Du wankst auf deinen Beinen
Und wirfst mit großen Steinen
Und schleuderst Felsen um dich her.
Was soll aus uns dann werden
Auf dieser armen Erden,
Wo lauter Not jetzt wohnt?
Willst du uns auch verzehren
Der Ernte reicher Ähren,
Die Früchte die so herrlich stehn?“
Die erste von diesen Strophen enthält als historische Tatsache den Hinweis auf die schon längst nicht mehr vorhandene Wallfahrtskapelle ,,Zu unserer lieben Frauen“, die im 12. Jahrhundert auf der Hochebene des Berges erbaut worden ist und von der ja der Berg den Namen trägt.
Das brausende Getöse, das der Dichter gehört hat, kam nicht aus dem Innern des Berges, denn er ist seinem geologischen Aufbau nach kein Vulkan. Und doch konnte er zu Zeiten schwerer Gewitter, wenn sie von Osten im Wippertale heraufzogen und bei starken elektrischen Entladungen an seinem Gipfel festgehalten wurden, selbst einem weniger mit Phantasie Begabten als ein feuerspeiender Berg erscheinen.
An einem ganz besonders schweren Gewittertage des oben genannten Jahres ist eine gewaltige, den steilen Hang herabstürzende Wassermenge in die bereits vorhandenen tiefen Spalten, die im Muschelkalk nicht selten sind, eingedrungen und hat die Ablösung der Bergwand in einer Ausdehnung bewirkt, wie sie die Gegenwart zeigt.
Steinschutt, weithin geschleudert, bedeckt die dort liegenden Gärten und macht sie für weitere Kultur unfähig. Daher die Klage des Dichters über die Vernichtung einer erhofften reichen Ernte. In den folgenden Strophen wird dann bittend gesagt:
,,O lass dich doch erweichen
Und gib uns bald ein Zeichen
Von deiner Freundlichkeit.
Und höre auf zu toben,
Und schelten hoch dort droben,
Zum größten Dank sind wir bereit.“
Das sind Worte, die beweisen, dass das Unwetter wohl länger als einen Tag die Bewohner des Tales in Schrecken gehalten hat. Die folgenden Seiten zeigen die Kehrseite des kritischen Tages; denn der Dichter zählt alles Schöne und Gute auf, das er und die Bewohner im Bereiche des Berges von ihm genossen haben. Er erinnert daran, wie in weit zurückliegender Zeit die gläubige Bevölkerung zum Kirchlein hinaufstieg, um zu opfern und wie aus dem frommen Kirchgange im Wandel der Zeiten und der Religion ein weltlicher Spaziergang geworden ist, den am 3. Osterfeiertage auszuführen, bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts zur Gewohnheit geworden war.
Wo sonst nur Schafe und Ziegen das spärliche Gras der Bergwand abweideten, kletterten an diesem Tage Knaben und Mädchen und suchten emsig nach den leeren, zierlich gewundenen Gehäuse kleinster Schnecken und nach den buntschillernden feinblättrigen Bruchstücken des Gipses, die noch immer am Berge gefunden werden.
Aber auch Ältere und sonst Rüstige scheuten die Mühe des Aufstiegs nicht, denn sie wussten, dass oben für des Leibes Nahrung und Notdurft reichlich gesorgt war. Der Dichter bestätigt es mit den Worten:
,,Es gab ,Kuchen und Pasteten in Fülle, dazu ein Wein, dem Nektar gleich zu sehen.“ Dass die letzte Behauptung nur ironisch gemeint ist, sagt ein Nachsatz: ,,Er sei gar nicht teuer, jedes Glas ein Dreier.“ Wir hegen keinen Zweifel an dieser Billigkeit, denn was hier ausgeschenkt wurde, war vaterländisches Produkt, erwachsen in den Weinbergen Jechaburgs und von der Herbheit, die die Zähne stumpf machte und nur durch einen Zusatz von Beeren und Zucker genießbar wurde. Trotzdem hatte ,,Frau Bischoff“, die das Getränk vorzüglich zu mischen verstand, vollauf zu tun, die durstigen Kehlen zu befriedigen. Die Wirkung blieb nicht aus.
,,Darauf fing man an zu singen,
Zu tanzen und zu springen
Um unseren Frauenberg.
Und mancher legte sich nieder
Mit schweren Haupt, sang Lieder,
Und schlief berauscht ganz süße ein.“
Am Abend angezündete, weithin leuchtende Feuer und lustiges Schießen mit Windbüchsen waren eine besondere, dem Frauenberge zugedachte Ehrung; galt er doch auch als Wohltäter der Schwachen und Kranken und die Schlussstrophen der Dichtung sind allein der Quelle des Güntherbades bei Stockhausen gewidmet, die der Dichter am Fuße des Berges entspringen lässt. Er sagt darüber
Du schenkst uns auch neulich (1815)
Die Quelle, die erfreulich
Und auch so reichlich fließt,
Aus welcher Freude Leben
Wie aus dem Saft der Reben
Gesundheit reichlich sich ergießt.“
Diese Verse sind der Anfang eines feierlichen Lobliedes, das der Dichter über die neu entdeckte Quelle anstimmt. Er glaubt dazu berechtigt zu sein, denn er sah erstaunliche Erfolge nach dem Gebrauch des Stockhäuser Wassers.
,,Hier sah ich Lahme schleichen
Auf Krücken, die zum Zeichen (der Heilung)
Jetzt hängen an der Wand
Der hergestellten Kranken,
Die nun frei gehen und nicht wanken,
Und freudig schlagen in die Hand.“
An sich selbst hat er das Wasser auch erprobt, denn er singt:
,,Auch ich trank neues Leben
Aus diesem Quell, daneben
Viel Munterkeit und Kraft.
Ich ging von ihr gesunder
Als ich vor Jahren war.“
Wie groß der Anteil ist, den Einbildung an dieser Lobpreisung hat, soll nicht untersucht werden. Das Schicksal des Günthersbades lehrt uns anderes darüber denken.
Dagegen soll der unbekannte Liederdichter dafür bedankt sein, dass er uns Aufschluss über den Felsabsturz am Frauenberg gibt und die Erinnerung an das volkstümliche Treiben daselbst an 3. Ostertage vor 100 Jahren wiederaufleben lässt.
Quelle: Der Deutsche vom 22. Oktober 1921 Nr. 16