Fundstücke aus der Geschichte Sondershausens
Hier ein weiterer Beitrag aus der Vergangenheit der Stadt Sondershausen.
Der Lehrer und Heimatforscher Edmund Döring beschreibt darin das heute in der ehemaligen Schlossgärtnerei liegende Palmenhaus und den Sondershäuser Schlosspark. Der Park war vor dem 2. Weltkrieg die drittschönste Parkanlage in Thüringen. Und heute?
Hanna Nagel
Palmenhaus und Park
von Edmund Döring
Der Winter ist da, bleigrau und schwer hängt der Himmel über der öden, farblosen Landschaft und verstimmt das Gemüt, das sich nach frischem Grün, nach Licht und bunten Farben sehnt. Mit zehrenden Augen stehen die Leute vor den Spiegelscheiben der Blumenläden, um sich für ein paar Augenblicke in die Blütenfülle der schöneren Jahreszeit hineinzuversetzen. Nur zu bald erinnert sie ein Windstoß, ein kalter Regenschauer, dass alles nur ein Traum war. Und doch gibt es in unserem Sondershausen eine Stelle, die uns die Unbilden des Winters völlig vergessen macht, weil sie wie ein Ausschnitt wirkt, der aus den Ländern des ewigen Frühlings in unseren trüben Himmelsstrich versetzt ist. Wir meinen das große Palmenhaus unserer Schlossgärtnerei, das so wenig Sondershäusern außer einigen Schulklassen und ihren Lehrern bekannt ist, obgleich es wie der Park jedem Besucher seit Jahrhunderten unentgeltlich seine Pforten geöffnet hält.
Treten wir einmal an einem trüben, stürmischen Wintertage ein. Auf die Frage, ob es gestattet sei, erhalten wir die zuvorkommendste Antwort. Der erste Eindruck überwältigt, verwirrt uns; wenn sich aber das Auge an die ,,Fülle der Gestalten“ gewöhnt hat, greift bald das Gefühl des Außergewöhnlichen, des Erhabenen in unserem Gemüte Platz. Beruhigend wirken die breiten grünen Wedel der großen Fächerpalmen, der Strelitzien (Paradiesvogelblumen), Latanien (mittelgroße Fächerpalmen aus der Dominikanischen Republik), der Baumlilien, Richardien, Ernst und Heiterkeit zugleich verbreitend. Die schlanken Stämme der Kokospalmen lenken den Blick in die Höhe und heben Mut und Hoffnung. Überall drängt und klettert freudiges, üppiges Leben, das hier mit tastender Wurzel den Kübel sprengt, dort die hemmende Decke heben möchte. Kaum vermag man sich hindurch zu winden, und nicht einmal für eine Ruhebank bleibt ein Plätzchen übrig. Bald glaubt die geschäftige Einbildungskraft das edelsteinglänzende Gefieder der Kolibris, die bunten Farbenpracht der Papageien oder auch das grinsende Gesicht eines Affen zwischen dem Blättergewirr erscheinen zu sehen; aber alles steht feierlich still, nur ab und zu fällt ein Wassertropfen auf die grünen Schirme, sonst stört nichts die bewundernde Freude an den herrlichen Pflanzengestalten, nichts die beruhigende, die ausgleichende Wirkung auf das Gemüt. Von sorgender, sachkundiger Hand gehegt und gepflegt, bieten sie besonders Kranken und Genesenden die angenehmste Unterhaltung.
,,Es flüstern und sprechen die Blumen, ich aber wandle stumm“, und freundliche Gedanken ziehen wieder in das verdüsterte Gemüt, das seine Sorgen bisher nur der freudlosen Öde der Krankenstube anvertrauen konnte. Sauerstoffreiche, reine Luft umgibt den Genesenden und schafft der angestrengten Lunge, dem empfindlichen Halse die gebotene Schonung, wenn der raue Ostwind noch längeren Aufenthalt im Freien verbietet. Stärker noch wird das Behagen in diesen Räumen, sobald die höhersteigende Sonne aus dem Blättergewimmel auch bunte Blüten in größerer Zahl hervorlockt. Zwischen den Spitzenwedeln der großen Palmenstämme drängen sich die weißgrünen Blütenstände hervor, über uns lassen die luftzehrenden Orchideen aus ihren Mooskörbchen seltsame Blüten herunterhängen.
Anthurien (Flamingoblumen) strecken ihre roten Zungen aus, der echte Jasmin entwickelt seine süßduftenden Blütendolden. An den feuchten Wänden klettert die Hoyaicarnosa (Wachsblume) mit den weisroten, honigtropfenden Blüten oder hängen die weißbesternten Ranken der hellgrünen Graslilie (Tropenpflanze), die rötlichen des Judenbartes (Ampelpflanze aus China), des rankenden Gummibaums und die wunderliche Boussingaultia (Madeirawein) sucht mit ihren blütenvortäuschenden bunten Stützblättern vergeblich die dienstbaren Insekten ihrer wärmeren Heimat heranzulocken.
Trauern wir auch schon vielen stolzen und seltsamen Pflanzengestalten nach, die Wissenschaft und Gärtnerkunst in früheren Zeiten hier mit weiser Auswahl zusammenstellten, so sind doch die spärlichen Reste dieser Sammlung im ehemaligen ,,Neuholländerhaus“ von der verständnisvollen Pflege der jetzigen Gartenverwaltung gehegt und belebt, noch beachtenswert genug. Wir finden hier noch die Kinder der wärmeren gemäßigten Zone, wo ,,ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, die Myrte still und hoch der Lorbeer steht“, die Goldregenbäume vom Kap, die syringenblütigen (fliederblütige) Fuchsien aus dem wärmeren Amerika, den Rosmarin, die süßduftende Diosma (blaublütiger Strauch), aber auch sperrige Brombeeren, Kakteen, Yuccas, strauchartige Wolfsmilch- und Nachtschattengewächse und viele andere. Noch immer leben sie uns vor, wie auf vielfache Weise die Pflanzenwelt den Kampf mit Trockenheit oder Nässe aufnimmt und sich zu behaupten versteht. Und durch die Türen und Fenster des dritten Raumes herein, wie ein Bild von Liguriens sonniger Küste. ,,Die Veilchen kichern und kosen“, die Primeln blühen, der Flieder will seine Knospen sprengen, es ist so mollig warm, so mild und wohltuend ringsum, wie wenn der Frühling hier sein Versteck hätte.
Wo ist eine Stadt von der Größe unseres Sondershausen, die nicht nur in der Jüngeren der ,,lieblichen Wissenschaft“, sondern jedermann solche Gelegenheit zur Erholung und Stärkung gewähren könnte? Die Fürsten und Reichen dieser Welt, sowohl wie auch der Staat haben zu allen Zeiten, wenn sie dem Volke etwas Erhebendes, Befreiendes bieten wollten, neben der Pflege anderer Künste stets auch der Gartenkunst in öffentlichen Parks, Gärten und Gewächshäusern ihren erfreuenden, veredelnden Einfluss auswirken lassen. Erinnert sei nur an die Palmengärten in Frankfurt und Herrenhausen, die Wilhelmshöhe bei Kassel, den Wilhelmsgarten in Magdeburg, in Wörlitz, Muskau, die Anlagen der großen Städte, die Universitätsgärten und in unserer engeren Heimat die einst berühmten Schlossgärten von Ettersburg, Arnstadt, Sondershausen und Ebeleben die, soweit wie möglich, auch heute noch der öffentlichen Wohlfahrt erhalten, ihren hohen Zweck erfüllen sollen. Nur möchten wir, um die uns hier in Sondershausen gebotene Gelegenheit voll ausnutzen zu können, bei aller Anerkennung und Dankbarkeit doch mit einer Bitte nicht zurückhalten. Nicht jedem ist auf seinem Bildungsweg der Schlüssel mitgegeben worden, die vorzügliche, aber stumme Gesellschaft, wie sie sich im großen Gewächshaus zusammengefunden hat, zu verstehen, auch kann der stets auskunftsbereite, aber vielbeschäftigte Herr Schlossgärtner Poperle und sein Gehilfe nicht immer zur Stelle sein, um Auskunft zu geben, was ,,Nam“ und ,,Art“ die Pflanze sei, darum würden kleine feste Schilder mit den nötigen Angaben, unauffällig angebracht, die Benutzung unseres Palmenhauses sehr fördern und der Verwaltung vielen Dank bringen.
Eine ähnliche, leicht zu beschaffende Einrichtung würde auch die dendrologischen (Dendrologie – Gehölzkunde) Seltenheiten unseres Parks nicht nur zugreifenden Fachleuten, sondern auch weiten Kreisen bekannt machen und schätzen lehren. Kann sich doch der Sondershäuser Park mit anderen vielgerühmten thüringischen Anlagen gleicher Art, sowohl was die Auswahl der Gehölze, als auch die Mannigfaltigkeit der landschaftlichen Bilder betrifft, reichlich messen. Nur werden seine Vorzüge nicht genügend gewürdigt und sinken zum Schaden der Stadt zur scheinbaren Bedeutungslosigkeit herab.
Achtlos gehen die meisten an den leider nicht bezeichneten amerikanischen Ahornarten, den zahlreichen Nadelbäumen im neuen Parkteil, dem Tulpenbaum, dem Götterbaum und vielen anderen Sehenswürdigkeiten vorüber, während in anderen Städten die Seltenheiten der Parkanlagen ausgezeichnet sind und mit Stolz darauf hingewiesen wird. Wie trotzdem schon das Vorhandensein solcher Anlagen die Sitten hebt, konnte man an dem Verhalten unserer Bevölkerung zur Zeit des schlimmsten Brennstoffmangels beobachten, wo die Gehölze unseres Parks wie ein Heiligtum durch den Schutz der Bevölkerung völlig unbeschädigt geblieben sind.
Wollen wir auch weiter den Ruf einer Stadt genießen, in der die Künste und Wissenschaften blühen und hochgeschätzt werden, so müssen wir wie mit unseren anderen Kunsteinrichtungen, so auch mit den gärtnerischen mehr noch verwachsen und ihre bildenden Kräfte auf uns einwirken lassen. Dann sind uns die Vorzüge einer vergangenen Zeit nicht verloren, denn es gilt auch in dieser Beziehung der Wahlspruch Goethes: ,,Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. Was man nicht nützt, ist eine schwere Last. Nur, was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.“
E. Döring
Neuholland war die ursprüngliche Bezeichnung für Australien.
Quelle: Der Deutsche, Nr. 30 vom 5. Februar 1927, Zweites Blatt ,,Thüringer Tageblatt“
Foto: Hanna Nagel